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Warum es die Initiative für gewaltfreies Hundetraining braucht

 

«Dann hat die Übungsleiterin mir gesagt, der Hund sei frech und ich müsse mich durchsetzen. So habe ich auf ihre Empfehlung mein Welpchen angezischt und auf den Boden gedrückt, bis es aufgehört hat sich zu wehren. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei und nun hat mein Liebling Angst vor mir.»

Solche Aussagen von Trainingskunden höre ich leider zu oft. Es zeigt mir, dass die «Initiative für gewaltfreies Hundetraining», welche ich 2014 gegründet habe, bitter nötig ist, da selbst vom Kanton anerkannte Trainer oben genannte Praktiken empfehlen.

 

Aber vielleicht besser von vorne: Als der autodidaktische "Hundeflüsterer" Cesar Millan, der mit seinen TV Serien bei National Geographic berühmt geworden ist, in der Schweiz im Hallenstadion auftreten wollte, sah ich darin ein Problem. Denn in seinen Videos und Büchern verstösst er nachgewiesenermassen gegen das Schweizer Tierschutzgesetz (Anwendung von Stachelhalsbändern, Elektroschockhalsbänder, Würgehalsbänder, Fusstritte und Schläge). Ich gründete die «Initiative für gewaltfreies Hundetraining», stellte ein Positionspapier auf, und sammelte innert weniger Tage sehr viele Unterschriften von Fachpersonen und Organisationen. Dann gingen wir über die Depeschenagentur an die Medien und mit einem Schreiben an das Veterinäramt Zürich. Leider argumentierte das Veterinäramt, dass die geplante Show keine Werbung mit Tieren sei und deshalb keine Bewilligung brauche, sie aber die Einhaltung des Tierschutzgesetzes überprüfen würden. In Niedersachsen musste Millan den dort notwendigen Sachkundenachweis erbringen. Er fiel aber durch die Prüfung und durfte nicht mit Hunden auf der Bühne arbeiten. Da wir in der Schweiz juristisch nichts gegen die geplante Show unternehmen konnten, riefen wir – beruhend auf der Idee unseres Mitgliedes Sunny Benett aus Österreich – die Tickettauschaktion ins Leben. So kann man gebrauchte Tickets von Trainershows bei einem Trainer unseres Netzwerks (der sich an einen Verhaltenskodex halten muss), gegen eine Trainingsstunde einlösen. Unterdessen sind um die 300 Hundeschulen in der Schweiz, Österreich und Deutschland angeschlossen. Wir sind eine non Profit Organisation ohne Mitgliederbeiträge und Budget und somit gibt es ungleiche Spiesse im Vergleich zu Sendern wie National Geographic oder Sixx. Aber wir tun was wir können, um in den Medien und im Internet über Lernverhalten und Körpersprache von Hunden zu informieren. Es geht darum, zu zeigen, warum und wie nonaversives Training das Mittel der Wahl ist, gerade auch bei verhaltensauffälligen Hunden. Wir informieren, welche Kriterien ein guter Trainer aufweisen sollte.

 

 

Hunde sind Säugetiere wie Menschen. Sie verfügen ebenso über ein lernfähiges Gehirn. Seit den 30er Jahren wurden die Mechanismen des Lernens systematisch untersucht und gut belegt. Man kann Verhalten über Belohnung und Bestrafung modifizieren – und so zeigt sich deutlich durch viele Studien, z.B. auch die neue Metastudie (Ziv, 2017), dass es am Besten geht, wenn man ohne Einschüchterungen und Schmerzensreize mit dem Hund arbeitet. Dazu kommt die ethische Komponente, warum sollte man einem fühlenden Lebewesen, mit dem man auch noch eine tiefe emotionale Verbindung pflegt, psychisches oder physisches Leid zufügen wollen?

 

Leider ist es auch so, dass man Hunde (wie auch Pferde) erstaunlich gut «zum funktionieren» bringt über aversives Training (also Einschüchterung und Strafen), damit das Tier das tut, was man will. Das Tier hat gelernt, dass das Unangenehme, das ihm zugefügt wurde, erst aufhört, wenn er sein Verhalten wie gewünscht anpasst. Bei «gekonnt» angewandtem aversiven Training, wird der Hund relativ gut funktionieren, jedoch ist die Gefahr sehr gross, dass ein Tier apathisch, ängstlich oder aggressiv reagiert (Blackwell et al., 2016). Hunde assoziieren aversive Reize entweder mit dem, was sie grad wahrnehmen (z.B. wenn sie einen anderen Hund sehen und aus Angst bellen, was der Besitzer mit einem Leinenruck quittiert) oder mit dem, der es ihnen zufügt. Sehr häufig kommt es also zu gravierenden Fehlverknüpfungen. Zudem wird einfach das Verhalten unterdrückt und die dem Verhalten zugrunde liegenden Gefühle und Bedürfnisse nicht beachtet. Gewalt beginnt nicht erst beim Elektroschock und Verprügeln, denn was als Gewalt erlebt wird, entscheidet das betroffene Individuum. Versteht man etwas von Körpersprache, sieht man, dass ein Rucken an der Leine oder ein drohendes über den Hund beugen/anzischen vom Hund als Gewalt erlebt werden kann, bzw. wird.

 

Interessant ist, weshalb aversive Trainer oft so viel Zulauf haben. Ich denke, auch hier kann man auf Milgram’s Autoritätsgehorsamsexperimente verweisen. Milgram hat die Frage beschäftigt, weshalb die deutschen SS Aufseher in den Konzentrationslagern so furchtbare Dinge getan haben. Mit Experimenten konnte er nachweisen, dass zwei Drittel der ganz normalen durchschnittlichen Versuchspersonen grauenhafte Dinge tun würden, sofern eine Autorität ihnen das befielt und die Verantwortung übernimmt. Auch wenn das Milgram Experiment unterdessen kritisch gesehen wird, zeigt es deutlich, wie stark situative Faktoren auf das menschliche Verhalten wirken. Das deckt sich mit den Äusserungen, dass viele Hundehalter eigentlich sich nicht wohl fühlen bei den Anweisungen (wie die Teilnehmer bei Milgram’s Experiment), aber mitmachen, weil es ja ein «Experte» ist und der sagt, es müsse so sein…). Gewalt als Mittel zum Zweck sozusagen. Eigentlich gehört das Training von Zivilcourage in den Grundschulstoff!


Historisch gewachsen ist diese Art des Trainings der Hunde aus dem militaristisch patriarchalisch geprägten Bürgertum entstanden, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre deutschen Schäferhunde mit Starkzwang zum Beissen und Gehorchen abrichteten, erst für Polizei und Armee, später als «ernsthafte, sportliche Betätigung». Die Entstehung des Breitensportes und Spasstraining ist eine neuere Entwicklung. Dass auch Frauen und Kinder zusammen mit anderen Rassen als Schäferhunden und "sogar" Mischlingen eine ganze Palette von Beschäftigungen einfach zum Spass und zur Beziehungsförderung betreiben, kam erst Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre auf (siehe meine historische Literaturarbeiten).


Hundetraining "zum Spass", mit kleinen Hunden, Mischlingen und für Frauen und Kinder ist noch gar nicht alt!

Quelle Bild links: Michael Magee, Bild rechts: Beat Habermacher

Legitimiert wurde und wird auch heute noch aversives Training durch veraltete Erkenntnisse von Gehegewolfstudien. Hierzu ist zu wissen, dass der heutige Wolf und der heutige Hund einen gemeinsamen Vorfahren haben (wie auch Menschen und Schimpansen). In den 50er und 60er Jahren wurden Wölfe in Gehegen beobachtet (z.B. Zimen) und diese Erkenntnisse unkritisch auf den Hund übertragen. Wölfe verhalten sich im Gehege jedoch anders, als wenn sie ausweichen könnten. In Gefangenschaft beobachtet man viel mehr Aggression und es bilden sich lineare nach Geschlechter getrennte Hierarchien. Daraus wurde geschlossen, dass der Mensch sich als "Alpha" über den Hund erheben müsse und dies mit Macht und Gewalt. Spätere Beobachtungsstudien in freier Wildbahn (z.B. Mech, 1999) fanden keinerlei "Dominanzstreitigkeiten", sondern ein hochsoziales, kooperative Familiengefüge. Diese starren Dominanzhierarchien stimmen also für das natürliche Wolfsverhalten nicht. Weiter sind Hunde keine Wölfe, sondern haben sich in einer anderen ökologischen Nische entwickelt, was auch auf das Verhalten einen Einfluss hatte. Höchstwahrscheinlich haben sich Hunde im Zuge der menschlichen Sesshaftwerdung als territoriale Aas/Abfallfresser selber domestiziert, siehe z.B. Coppinger, 2003).

 

Das, was Hunde am meisten auszeichnet ist ihre ungeheure soziale Adaptationsfähigkeit. Sie wollen mit uns kooperieren und soziale Beziehungen eingehen, sie sind auf uns angewiesen und wir haben die Kontrolle und Macht über sie. Damit sollten wir verantwortungsvoll und liebevoll umgehen. Wir können "Grenzen setzen" auch ohne Einschüchterungen und Strafen, nämlich indem wir den Hund belohnungsbasiert und mit Vertrauen so trainieren, dass er lernt, sich erwünscht zu verhalten. Wir erwarten enorm viel von unseren Hunden, da ist es nur fair, dass wir sie liebevoll unterstützen, da wo es nötig ist, mit all den Anforderungen umgehen zu können.

 

Wölfe sind hochsoziale Tiere

(Quelle: Shutterstock/Kochanowski)

Sogenannte Village Dogs sind territoriale Aasfresser

(Quelle: Shutterstock/Miguel Cabezón)


Auch Menschen, die aversiv mit ihren Hunden umgehen, lieben ihre Tiere. Darum wird Kritik sehr leicht persönlich genommen und sachliche Argumentation schwierig. Zudem will man sich selbst als konsistent erleben und seine Theoriegebäude nicht einstürzen lassen - von dieser Tendenz sind wir alle betroffen. Über das Thema der kognitiven Dissonanz  und emotionalen Verstrickungen habe ich einen Artikel geschrieben.

 

Wie funktioniert gutes Training? Hierzu ein passendes Zitat der Psychologin Asleigh Warner (übersetzt aus dem Englischen): "Hinter jedem Verhalten steckt ein Gefühl und hinter jedem Gefühl ein Bedürfnis. Wenn wir das Bedürfnis befriedigen anstatt auf das Verhalten zu fokussieren, beginnen wir damit die Ursachen statt der Symptome zu behandeln.”

 

Ein Hund, der aggressiv bellt an der Leine beim Anblick eines Artgenossen hat gelernt, dass sein Verhalten dazu führt, dass der andere Hund auf Distanz bleibt. Das zu Grunde liegende, mangelhaft erfüllte Bedürfnis ist Sicherheit. Der Hund hat eigentlich Angst. Durch gutes Training lernt er, dass er sich nicht zu ängstigen braucht. Dafür präsentieren wir einen anderen neutralen Hund in genügendem Abstand und belohnen die Entspannung und alternatives Verhalten beim Problemhund. Das sind dieselben Instrumente wie in der kognitiven Verhaltenstherapie beim Menschen (Gegenkonditionierung und systematische Dessensiblisierung). Wir schaffen Situationen, in denen der Hund Erfolg haben kann, indem wir allenfalls problematische Reize kontrollieren/vermindern. Dadurch kann der Hund erwünschtes Verhalten zeigen, was wir belohnen. Damit verknüpft sind auch die erwünschten Gefühle der Entspannung/Freude und Vertrauen. Das Bedürfnis nach Sicherheit wird erfüllt, der Hund lernt, dass ihm nichts passiert. Dann erhöhen wir in kleinen Schritten systematisch den problematischen Reiz, bis das Tier gelernt hat, dass es keinen Grund zur Angst gibt und somit wirklich eine Änderung der Assoziation stattgefunden hat.

 

Dieses Training ist leider nicht sehr kamerawirksam, da ein guter Trainer den Hund gar nicht erst in die Situation bringt, "auszuticken", sondern unter der Reizschwelle bleibt. Für ein Laie sieht es danach aus, dass der betreffende Hund "ja gar kein Problem" hat. Für die genannten TV Shows werden hingegen solche Hunde zu nah an den für sie problematischen Reiz gebracht. Der Hund reagiert stark und das Verhalten wird mit genügender Härte (Einschüchterung, körperliche Schmerzen zufügen) unterdrückt. Der Laie bemerkt das kaum, sondern sieht nur ein Hund, der zuvor sich wild verhalten hat und nun «nichts mehr macht» - nur ein Laie denkt, damit sei ein Problem gelöst – im Gegenteil!

 

Aversives Trainingshilfsmitel - Stachelhalsband

(Quelle: Shutterstock/Victoria Antonova)

Nonaversives Training - hier mit Clicker und Belohnung

(Quelle: Shutterstock/Duncan Andison)


Es ist sehr erfreulich, dass die Studienleiter der spannenden Studie über gesundes Altern und dem Zusammenleben mit Hunden Wert darauf legen, mit nonaversiven, wissenschaftlich fundierten Trainern zusammen zu arbeiten. In meiner Lizenziatsarbeit am Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Universität Zürich ging es genau um dieses Thema. Es zeigt sich, dass all die positiven Aspekte auf die Psyche des Menschen (und auch für den Hund) vor allem dann zur Blüte kommen, wenn man mit dem Hund nonaversiv umgeht, seine Körpersprache versteht und die alten Dominanztheorien vergisst. Auf der Seite www.gewaltfreies-hundetraining.ch und bei meinen Artikeln finden sich viele Informationen über nonaversives Training.

 

 

© Bettina Stemmler 6.1.2020


Bettina Stemmler, 1982 geboren, lic. phil. UZH, ist Hundetrainerin (cert. Hundeinstruktorin HIK-1 Certodog; int. Hundetrainerin nach Rugaas, Clickertrainerin I und dipl. tierpsychologische Beraterin I.E.T.). Nach einem naturwissenschaftlichem Grundstudium, studierte sie Psychologie, Geschichte und Philosophie an der Universität Zürich und hat drei empirische Forschungsprojekte über die Mensch-Hund-Beziehung realisiert. Sie besitzt drei Scottish Terrier, die gerne Agility, Clickertraining, Nasenarbeit und vieles mehr machen. Bettina Stemmler arbeitet auch in einer Filmproduktionsfirma zusammen mit ihrem Mann.


 Dieser Blogartikel entstand auf Einladung der Studie "Beloved - Wohlbefinden und gesundes Altern" der Universität Zürich und ist auf dieser Seite der UZH ebenfalls veröffentlicht worden.