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Über Bullshit Detektion und kompetentes Hundetraining

Ein Neuhundehalter ist manchmal nicht zu beneiden – hört er doch auf dem Spaziergang oder dem Hundeplatz, liest in Ratgebern oder schaut HundetrainerInnen im TV zu, wie er nun das kleine Fellknäuel in ein glückliches und angepasstes Familienmitglied verwandeln soll.


Wie erkennt man zuverlässige und korrekte Informationen, insbesondere, wenn man ein Laie auf dem Gebiet ist? Jeder von uns hat Zähne in seinem Mund, deswegen sind wir noch lange nicht alle Zahnärzte. So ist es auch bei der Hundehaltung. Erfahrung ist sicher ein Vorteil, trotzdem kann man jahrzehntelange Fehler machen. Zudem können auch Theorien, die einleuchtend und plausibel sind, nachgewiesenermassen falsch sein.

 

Da HundetrainerIn, TierpsychologIn usw. keine geschützten Begriffe sind und Hundetrainerausbildungseinrichtungen nicht auf ihre Qualität kontrolliert werden, wimmelt es nur so von Experten, die sich zum Teil massiv widersprechen. Dies hat auch historische Gründe. So entwickelte sich das Training für Hunde aus der Starkzwangdressur des Militärs. Weiter wurden verhaltensbiologische Erkenntnisse von anderen Tierarten wie verschiedenen Strömungen der Kindererziehung auf Hunde übertragen (bei Interesse zum Thema -siehe meine historischen Arbeiten zum Thema). In neuerer Zeit gibt es glücklicherweise immer mehr HundetrainerInnen, die sich an der empirischen (datengestützten) Forschung an Hunden und ethischen Überlegungen orientieren.

 

Peer-review und Metastudien


Die wissenschaftliche Methode zur Erkenntnisgewinnung hat über unsere Welt die zuverlässigsten Resultate geliefert. Dies zeigt sich beispielsweise in der Existenz und Funktionalität von Elektrizität, Antibiotika und GPS. Da Wissenschaftler auch nur Menschen sind, die irren können, sind besonders aussagekräftig Studien, die peer-reviewed sind und in grossen, international anerkannten Fachjournalen veröffentlicht wurden. Peer-Review bedeutet, dass ein eingereichter Fachartikel von mehreren, unabhängigen Fachpersonen desselben Gebiets geprüft wird, meist anonymisiert, damit die Qualität der wissenschaftlichen Methodik und deren Aussagekraft sichergestellt werden kann. Eine Studie ist keine Studie, heisst es – darum braucht es gute Metastudien. In diesen werden viele peer-reviewed Studien zu einem Forschungsgegenstand angeschaut und Schlüsse daraus gezogen.


Wissenschaftliche Studien sind in Fachsprache und entsprechender Komplexität geschrieben, so dass es eine jahrelange vertiefte Auseinandersetzung auf akademischem Niveau bedarf, um sie zu verstehen und beurteilen zu können. Deswegen braucht es guten Wissenschaftsjournalismus, durch diesen die Erkenntnisse und Debatten verständlich präsentiert wird, ohne durch die Vereinfachung die wichtigsten Aussagen zu verlieren – das ist die grosse Herausforderung, und wirklich eine Kunst.

 

Im folgenden zwei gute Videos der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim über Wissenschaftsjournalimus und wissenschaftliches Denken/Erkennen von Bullshit. Besonders wichtig zu erkennen: Das man Theorien falsifizieren, also widerlegen kann, macht die wissenschaftliche Methode aus und krude Theorien, welche sich nicht falsifizieren lassen, sind nicht wissenschaftlich.

 


Die Frage nach dem Vertrauen und das Problem der "Meinungsänderung"

 

Unsere Welt beruht viel mehr auf Vertrauen, als wir es uns bewusst sind. Wer könnte schon die genauen Vorgänge einer Toilettenspülung aufzeichnen und erklären? Und trotzdem drücken wir mit Vertrauen den Spülknopf, ganz zu schweigen von dem Starten eines Automotors oder dem Bedienen eines Smartphones. Es ist gut, kritisch zu sein, aber wenn die Beweislast, dass man falsch liegt, erdrückend ist, sollte man seine Meinung ändern.

Angstschürende Positionen, welche das Vertrauen in die wissenschaftlichen Methoden und seriösem Journalismus prinzipiell untergraben, sind gefährlich für die Demokratie und die Gesellschaft. Manipulation funktioniert am am Besten, wenn man mit reisserischen, polarisierenden und angstschürenden Aussagen aufkreuzt. In diesem Fall sollte man schon mal skeptisch sein. Man sollte sich genau überlegen, welchen Quellen man vertraut oder nicht und warum - dies ist wohl die wichtigste Lektion eines Geschichtsstudiums.

Es lohnt sich ehrlich zu sich zu sein: wenn es wichtiger ist, sich gut zu fühlen oder einer Gruppe zugehörig zu sein, anstatt möglichst wahre Dinge zu vertreten, sollte man sich gut überlegen, ob es das ist, was man tun sollte. Mehr zu den psychologischen Mechanismen welche es uns erschweren unsere Meinung und unser Verhalten zu ändern finden sich in einem Blogartikel von mir.

 

 

Das False-Balance Problem


97% der Klimawissenschaftler sind der Überzeugung, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Werden nun in einer Diskussion einem dieser Wissenschaftler ein Kritiker entgegengesetzt, entsteht leicht der Eindruck – «ah, die Fachwelt ist sich wohl auch nicht einig, da gibt es nun mal verschiedene Meinungen». Das nennt sich eine False Balance (Falsche Ausgewogenheit). Dies kann den Laien verunsichern und anfällig machen für irreführende Ideen.

Ja, es gibt viele Streitpunkte und auch Theorien, die widerlegt wurden, aber es gibt auch Fakten, die so breit durch die oben beschriebene Erkenntnisgewinnung belegt sind, dass das gut schweizerdeutsch «keine Geiss mehr wegleckt». Dies sollte guter Journalismus auch so kommunizieren. Eine Meinung, selbst wenn sie von einem Experten stammt, ist weniger aussagekräftig als der wissenschaftliche Konsens.

Da wir emotionale und soziale Wesen sind, hören wir lieber auf einzelne, bewegende Fallbeispiele als trockene Statistiken. Eine persönliche Stimme voller Selbstvertrauen und eloquenter Rhetorik wirkt überzeugender als ein trockener, geschriebener Text. Aber wir haben auch rationale Fähigkeiten und ich bin überzeugt davon, dass die meisten Menschen wirklich das Bedürfnis haben wahre Dinge zu vertreten (insbesondere wenn in der Konsequenz die Hunde, die wir lieben, zu Schaden kommen können), sonst könnte ich mir diesen Text sparen.

Was hat das nun mit Hundetraining zu tun?


Es ist für einen Laien enorm schwierig sich in dem Dschungel so vieler Ansichten einen Weg zu bahnen. Deswegen habe ich 2014 die Initiative für gewaltfreies Hundetraining gegründet. Zusammen mit meinen FachkollegInnen setzen wir uns dafür ein, dass Hunde gemäss den Erkenntnissen der Canine Science (Wissenschaft zur Erforschung der Hunde) und ethischen Gesichtspunkten behandelt und trainiert werden. Im Zentrum steht das Positionspapier und der Verhaltenskodex, welche bereits über 600 Fachpersonen und viele Fachorganisationen unterstützen.


Der Verhaltenskodex lässt bewusst wenig Interpretationsspielraum und formuliert möglichst präzise, was nonaversives Training ist: es wird auf das Zufügen von Schmerz- und Schreckreizen verzichtet. Der Verhaltenskodex soll HundehalterInnen als Leitfaden dienen bei dem Erkennen von kompetenten TrainerInnen.

 

 

Was ist kompetentes Hundetraining?

 

Hinter jedem Verhalten stehen Emotionen, Motivationen und Bedürfnisse, daher spielt sich das Training unter der "Wasseroberfläche" ab (siehe Eisbergbild unten). Sehr oft ist das Bedürfnis nach Sicherheit und die Angst vor Kontrollverlust am Werk, wenn ein Hund aggressiv reagiert. Kompetentes Training sieht vereinfacht wie folgt aus:

  • Der Hund wird tierärztlich untersucht, um medizinische Probleme und Schmerzen auszuschliessen.
  • Der Alltag und die Lebenssituation werden analysiert, um ein individuelles und umfassendes Trainings- und Massnahmenprogramm aufzustellen.
  • Nonaversive Managementmassnahmen verhindern das Auftreten von unerwünschtem Verhalten.
  • Erwünschtes Verhalten ist nicht selbstverständlich und wird gezielt verstärkt.
  • Es werden Situationen nachgestellt, die dem Problem ähneln, ohne die volle Intensität aufzuweisen, bzw, das erwünschte Verhalten wahrscheinlich macht. Es wird dem Hund so die Chance gegeben, sich sicher zu fühlen und erwünscht zu verhalten, was möglichst punktgenau positiv verstärkt wird.
  • Es folgt eine kleinschrittig aufgebaute Steigerung der Anforderungen in dieser Situation in dem die Kriterien erhöht werden (z.B. Dauer, Intensität, Distanz). Anfangs und bei Verhaltensproblemen können dies wirklich sehr kleine Schritte sein.
  • So wird das Tier lernen, welche Verhaltensweisen Erfolg bringen und diese häufiger zeigen. Bei erfolgreicher Therapie bei Verhaltensproblemen wird das Tier sich sicher und selbstwirksam fühlen und es nicht mehr nötig haben, das unerwünschte Problemverhalten zu zeigen.

 

Auf unserer Webseite findet man aktuelle Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Canine Science. Weiter bemühen wir uns, diese Erkenntnisse durch diverse verlinkte Materialien und Artikel verständlich zu machen. Die Erkenntnisse der Canine Science zeigen auch, dass aversives Training funktionieren kann. Man kann einen Hund auf Verhaltensebene zum Funktionieren bringen, indem man beispielsweise mit Schreckreizen ein Verhalten unterdrückt. Wie die Abbildung mit dem Eisberg zeigt, hat diese Vorgehensweise neben ethischen Bedenken den Nachteil, dass die zugrundeliegenden Emotionen sich kaum zum Besseren verändern, wenn das Tier zusätzlich noch Angst oder Schmerzen empfindet. Konfrontative Methoden gehen mit einer erhöhten Bissgefahr einher (siehe Herron et al., 2009), weswegen der Gesetzesgeber dies bei der Gestaltung der obligatorischen Kurse dringend berücksichtigen sollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 Quelle Bild: Artikel zum Thema im SHM 5/22 - siehe PDF am Ende des Artikels

 


Um es auf den Punkt zu bringen: die Metastudien der Canine Science (z.B. Ziv, 2017) zeigen deutlich, dass ein nonaversives Training mit dem Hund effektiver und zielführender ist als aversives Training.

Die meisten Menschen lieben ihre Hunde und wollen das Beste für sie. Auch die TrainerInnen, die zu aversiven Methoden raten, sind der Überzeugung, das Richtige zu tun und dass dies als Mittel zum Zweck eben nötig sei. Die fachliche Legitimation wird sehr oft aus einer Fehlinterpretation den Dominanztheorien (aus der Mitte des 20. Jahrhunderts) geholt, also der Annahme, es gebe eine zu verteidigende Hierarchie in der Mensch-Hund-Beziehung. Ein unerwünschtes Verhalten kann dadurch leicht dahingehend interpretiert werden, dass der Hund mit Absicht diese Hierarchie in Frage stelle, weswegen ein aversives Durchgreifen legitim und nötig sei. Über die Widerlegung dieser Thesen bestehen bereits viele Artikel (siehe in diesem Blog von mir,  der Webseite der Initiative oder beispielsweise im Artikel von Roman Huber).

 

 

Ein bisschen Philosophie und Ethik...


Wir können nie mit Sicherheit wissen, was in der Psyche eines anderen Tieres oder Menschen vorgeht und die Beurteilung von Verhalten bleibt am Ende Interpretation (Problem des Fremdpsychischen). Trotzdem ist das Prinzip des evolutionären Kontinuums der Evolutionstheorie (sowohl Mensch wie Hund sind Säugetiere) eines der erwähnten Fakten, die sehr gut abgesichert sind. Somit können wir davon ausgehen, dass Hunde nicht ganz grundsätzlich anders ticken wie wir. Also liegt Pascal Lachenmaier nicht so falsch, wenn er sag:

 

«Behandle dein Haustier so, dass du im nächsten Leben ohne Probleme mit vertauschten Rollen klarkommst.»


Wissenschaft liefert uns Erkenntnisse über die Welt, wie sie beschaffen ist. Wie wir mit den Erkenntnissen und der Welt umgehen sollten, liefert sie nicht. Hierfür zielführend hat sich die Philosophie erwiesen, insbesondere die Ethik. Beispielsweise geht es darum, was Fairness ist oder wie die Interessen aller leidensfähigen Wesen gewahrt werden können. Aus ethischer Sicht lässt sich leicht argumentieren, dass ein Umgang, der möglichst wenig Leiden und möglichst viele Freuden verursacht und erst noch das erwünschte Ziel (gesellschaftstauglicher Hund) erreicht einem Vorgehen vorgezogen werden sollte, bei dem sowohl Menschen wie Hunde Stress, Angst oder gar Schmerzen erleiden können. Auch wenn sich glücklicherweise das Wissen der Canine Science noch weiter entwickeln wird, ist es aufgrund der klaren Datenlage sehr unwahrscheinlich, dass sich aversives Training plötzlich als viel besser herausstellt und das ethische Gebot, unnötiges Leid zu vermeiden, wird sowieso bestehen bleiben.


Wenn Verhaltensklienten weinend bei mir in der Anamnese sitzen, weil ein Trainer ihnen zu aversivem Handling geraten hat und der Hund sie nun beisst, ist das wirklich tragisch und das Leid gross. Umso schöner, wenn durch nonaversives Training Menschen und Hunde sich wieder vertrauen lernen und einen harmonischen Alltag teilen können – denn dafür haben wir doch am Ende Hunde, weil wir sie lieben.


© Bettina Stemmler, Juli 2022, www.scotties.ch

 


Bettina Stemmler, 1982 geboren, lic. phil. UZH, ist Hundetrainerin (cert. Hundeinstruktorin HIK-1 Certodog; int. Hundetrainerin nach Rugaas, Clickertrainerin I und dipl. tierpsychologische Beraterin I.E.T.). Nach einem naturwissenschaftlichem Grundstudium, studierte sie Psychologie, Geschichte und Philosophie an der Universität Zürich und hat drei empirische Forschungsprojekte über die Mensch-Hund-Beziehung realisiert. Sie besitzt drei Scottish Terrier, die gerne Agility, Clickertraining, Nasenarbeit und vieles mehr machen. Bettina Stemmler arbeitet auch in einer Filmproduktionsfirma zusammen mit ihrem Mann.


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Erziehungsdschungel - eine Orientierungshilfe
Ein kürzerer Artikel zum Thema erschien im Schweizer Hundemagazin, welcher aus diesem Blogartikel entstanden ist.
SHM Erziehungsschungel.pdf
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